Analyse der Ist-Situation

 

Ein erster Schritt im Rahmen von Gleichstellungsvorhaben ist die Analyse der Ist-Situation. Es geht in diesem Schritt darum, alle notwendigen Informationen zu beschaffen, auszuwerten und zu vermitteln, um die momentane Situation von Frauen und Männern im jeweiligen Handlungsbereich und etwaige Benachteiligungen einschätzen zu können. Konkrete Daten und Fakten zur Situation von Frauen und Männern zu haben, ist auch deswegen besonders wichtig, da wir im Alltagsleben oft nicht die richtige Sicht auf die tatsächlichen Verhältnisse haben.

 

Welche Handlungsfelder können Sie analysieren?

 

    Analyse interner Bereiche: Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Organisation, Gender Mainstreaming in den Organisationsstrukturen und -prozessen.

 

    Analyse externer Bereiche: Sind die Produkte und Dienstleistungen der Organisation auf Gleichstellung ausgerichtet?

 

 

4R-Methode

 

Um die Ist-Situation zu analysieren, können Sie die in Schweden entwickelte 3R-Methode, die später um ein viertes R (Rechte) erweitert wurde, anwenden. Damit fragen Sie danach, ob es in dem betreffenden Handlungsfeld in den Bereichen …

 

    Repräsentation (z.B. Frauen und Männer in Entscheidungsfunktionen, Frauen und Männer als Betroffene, Beteiligte, Zielgruppe etc.),

    Ressourcen (z.B. Zeit, Geld, Raum, Bildung, Macht etc.),

    Realisierung (dieses „R“ steht für eine qualitative Dimension, hier geht es um die Frage nach den Ursachen für die zuvor festgestellten Unterschiede, also um die Auswirkungen von geschlechtsspezifischen Rollenbildern, Normen und Werten),

und

    Recht (hier geht es um Gesetze, Weisungen, Leitbilder etc. und um die Frage, ob diese indirekte Diskriminierungen mit sich bringen).

 

relevante Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt.

 

Um Antworten auf diese Fragen geben zu können, benötigen Sie gendersensible Daten. Im Folgenden werden grundlegende Begriffe kurz angerissen:

 

Von Daten ist die Rede, wenn bestimmte Merkmale oder Eigenschaften, die bei Personen, Gruppen, Organisationen und anderen Merkmalsträgern beobachtet wurden, in geeigneter Form dokumentiert und protokolliert wurden. Ein Beispiel: An einer Straßenkreuzung werden die vorbeifahrenden Autos gezählt. Jedes Auto wird als Strich in einer Liste vermerkt. Die vorbeifahrenden Autos an sich sind noch keine Daten. Erst durch die Protokollierung werden die beobachteten Autos in Daten der Autozählung umgewandelt, in festgehaltene und abrufbare „symbolische Repräsentation(en)“ der beobachteten Merkmale.*

 

Es gibt quantitative und qualitative Daten, deren Unterschied in der Methode der Datenerhebung liegt. Während in der quantitativen Methode beispielsweise standardisierte Fragebögen zum Einsatz kommen (Fragen und verschiedene Antwortmöglichkeiten sind festgelegt z.B. ja/nein/weiß nicht; stimme voll und ganz zu/stimme eher zu/stimme eher nicht zu/stimme überhaupt nicht zu usw. ), arbeitet man bei der qualitativen Methode beispielsweise mit offenen Interviews, die eben keine vorgegebenen, standardisierten Antworten enthalten, sondern den TeilnehmerInnen ermöglichen zu sagen was immer sie wollen. Auch die InterviewerInnen selber folgen keinen streng vorgegebenen Fragen oder einer bestimmten Reihenfolge. Die quantitative Methode setzt vor allem auf die Vergleichbarkeit von Daten, die rechnerisch zusammengefasst und mit statistischen Verfahren ausgewertet werden können. Die qualitative Methode hingegen kann gut zum Einsatz gebracht werden, wenn das Ziel ist, alle Aspekte des Untersuchungsfeldes zu entdecken und ein vollständiges Bild zu erhalten.*

 

Indikatoren sind direkt beobachtbare oder messbare „Anzeiger“, „Hinweise“ auf oder „Anzeichen“ für bestimmte Phänomene (unterschiedlicher Komplexität oder Abstraktion). Es gibt sowohl qualitative als auch quantitative Indikatoren. Meist werden einige Indikatoren gemeinsam verwendet (Indikatorensets), um einen Sachverhalt zu beschreiben.*

 

Chancengleichheitsindikatoren der Europäischen Kommission

 

Die Europäische Kommission hat die Chancengleichheit der Geschlechter am Arbeitsmarkt auf fünf übergeordnete Gleichstellungsziele bzw. Dimensionen heruntergebrochen. Diese sollten innerhalb der Strukturfondsmaßnahmen berücksichtigt werden. Diese fünf Dimensionen hat sie folgendermaßen formuliert:

 

     

ausgewogener Zugang zu und Teilhabe an allen Ebenen des Arbeitsmarktes,

     

ausgewogene Teilnahme an Maßnahmen zur allgemeinen und beruflichen Bildung,

     

ausgewogene Teilhabe an der Gründung und am Wachstum von Unternehmen,

     

Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie

     

ausgewogene Beteiligung an Entscheidungsprozessen.

 

Die Kommission machte zu diesen Gleichstellungszielen u.a. folgende Vorschläge für Indikatoren:

 

Vereinbarkeit von Familie und Beruf:

 

     

Zahl der Betreuungsplätze,

     

 % der unterstützten Unternehmen mit Beschäftigungsplänen, die die Chancengleichheit fördern,

     

 % der unterstützten Unternehmen mit Dienstleistungsangeboten für die Beschäftigten (Krippe, Einkauf, Transport, Bank),

     

 % Personen, die nicht arbeiten können, weil es an Einrichtungen zur Betreuung von Kindern und von älteren und behinderten Menschen fehlt,

     

 Zufriedenheit von weiblichen und männlichen Beschäftigten mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

 

 

Ausgewogene Teilhabe an der Gründung und am Wachstum von Unternehmen:

 

     

Anteil von Frauen, die Unternehmen gründen,

     

Anteil von Unternehmen in Frauenbesitz,

     

Anteil von Frauen, die Unternehmen in den Bereichen Forschung und Technologie gründen,

     

Umsatz und Gewinn von Unternehmen in Frauenbesitz gemessen am Umsatz und Gewinn aller Unternehmen,

     

Anteil von Frauen, die die Unterstützungsangebote für Klein- und Mittelbetriebe nützten (finanzielle Hilfe, Beratung, Schulung, Gründerzentren),

     

Anteil der finanziellen Unterstützung, die an Unternehmen in Frauenbesitz geht.

 

 

Für die meisten Sachverhalte gibt es zahlreiche Indikatoren, die den Sachverhalt mehr oder weniger treffend beschreiben. Um gute Indikatoren auswählen bzw. entwickeln zu können, braucht man sowohl theoretisches Wissen zum Sachverhalt wie auch Methodenkompetenz. Die Interpretation der Daten stellt genauso eine Herausforderung dar, wie die Auswahl bzw. Entwicklung von Indikatoren.

 

Es gibt neben den Chancengleichheitsindikatoren der Europäischen Kommission eine Reihe weitere gendersensibler Indikatoren für verschiedene Lebensbereiche, die als Anhaltspunkte dienen können. Oft werden Sets von Indikatoren mittels einer Rechenoperation zu einer einzigen Zahl verdichtet, die man dann als Index bezeichnet.

 

Beispiele für Gleichstellungsindikatoren bzw. Indizes sind:

 

    Gendersensitive Indikatoren des Commonwealth Sekretariats

    Indizes der Vereinten Nationen: GDI und GEM

    Schwedischer Gleichstellungsindex Equal X

    Schweizer Gleichstellungsindex

 

 

Um mittels gendersensibler Daten die Ist-Situation analysieren zu können, gehen Sie folgendermaßen vor:

 

    Sie legen die benötigten Daten und Indikatoren fest.

    Sie stellen deren Verfügbarkeit und Qualität fest.

    Sie identifizieren Lücken.

    Sie sammeln/erheben gegebenenfalls neue Daten.

    Sie analysieren diese Daten.

 

 

Feststellen der benötigten Daten und Indikatoren

 

Zunächst listet man alle Daten und Indikatoren auf, die man benötigt, um die Situation von Frauen und Männern im jeweiligen Organisations- oder Lebensbereich zu beschreiben. Dabei geht es nicht nur um reines „sex-counting“, sondern darum, sich zu überlegen, welche Daten in welchen Bereichen benötigt werden, um die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitssituationen von Frauen und Männern beschreiben zu können. Vorerst wird das getan, ohne zu überlegen, ob diese Daten bereits vorhanden sind oder nicht.*

 

 

Festellen der Verfügbarkeit und Qualität von Daten

 

Ist die Indikatorenliste fertig, gilt es nun, zwei Dinge festzustellen: Sind die gesuchten Daten verfügbar und von welcher Qualität sind sie?

 

Der erste Schritt ist die Recherche nach Daten und Datenquellen (eine Auflistung möglicher Datenquellen inklusive Links finden Sie im Handbuch gendersensible Statistik*), um herauszufinden, ob die Daten, nach denen Sie suchen, vorhanden sind.

 

Dann geht es darum, die Qualität der Datenquellen und der gefundenen Zahlen unter die Lupe zu nehmen und einzuschätzen, ob die Daten das aussagen, wonach man sucht. Um die Gleichstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer Organisation analysieren zu können, ist es wichtig, dass verschiedene Daten – wie Alter, Geschlecht, Lohn, Arbeitszeitausmaß, Funktion – miteinander verknüpfbar sind, was nicht immer der Fall ist. Bei Arbeitsmarktdaten kann z.B. sein, dass nur ein Teil der Daten zu Einkommen überhaupt Informationen zur jeweiligen Arbeitszeit enthält. Dann gibt es Statistiken, die nur Vollzeit-Verhältnisse enthalten und somit den – hohen – Anteil der Teilzeitjobs ausblenden. Andere unterscheiden nach Vollzeit und Teilzeit, schweigen aber über das genaue Stundenausmaß. Eine Mikrozensus-Befragung wiederum enthält zwar möglicherweise detaillierte Informationen zur Arbeitszeit, hat aber den Nachteil, dass die Zahlen durch Selbstauskunft zu Stande kommen und daher mit Vorsicht zu genießen sind. Zudem handelt es sich beim Mikrozensus um eine Stichprobenerhebung mit relativ niedrigen Fallzahlen, die sich auf regionaler Ebene oft nicht mehr seriös interpretieren lässt.

 

In diesem Schritt geht es also darum, sich die Konzepte und Erhebungsmethoden, die hinter den Daten stehen, genau anzusehen und zu überlegen, welche Daten nun für die eigenen Zwecke am ehesten brauchbar sind, welche Kompromisse man eventuell eingehen muss – und welche man vielleicht nicht eingehen möchte.*

 

 

Identifizieren von Lücken, Festlegen des weiteren Bedarfs an Daten

 

Nachdem die Verfügbarkeit und die Qualität der gesuchten Daten analysiert ist, kann man nun feststellen, welche weiteren Daten man benötigen würde. Man kann eventuell mit relevanten StatistikproduzentInnen Kontakt aufnehmen, um diese über die Daten-Lücken und den Bedarf zu informieren und mehr oder andere Erhebungen und Aufbereitungen anzuregen. Dann legt man fest, wie man weiter vorgehen will: Entweder man bringt andere dazu, Daten anders oder ganz neu zu erheben oder besser verfügbar zu machen. Oder, man entschließt sich, sich selbst um eine neue Erhebung zu kümmern. Oder aber, man entscheidet, mit den bestehenden Daten das Auslangen zu finden und dabei eventuell Einschränkungen in Kauf zu nehmen. *

 

 

Erheben/Sammeln neuer Daten

 

Es gibt folgende Möglichkeiten:

 

    Es gelingt, bisher nicht zugängliche Daten zu besorgen. Man überzeugt etwa eine Organisation, Daten, die sie ohnehin besitzt, in eine Tabelle einzutragen und zur Verfügung zu stellen.

    Man führt selbst Erhebungen durch.

    Man gibt eine Erhebung in Auftrag.

*

 

Analyse der Daten

 

Auch Statistik-Nicht-ExpertInnen können einige Analysen selbst durchführen, etwa häufigste Werte, Durchschnitte und Mittelwerte bilden, Daten zu Gruppen (Kategorien) zusammenfassen und Gender Gaps berechnen. Wichtig ist auch im Kopf zu behalten, wie viel an Aussage durch die Art der Aufbereitung beeinflusst werden kann, etwa durch die Art, wie man Kategorien bildet, welche Daten man auswählt, welche statistischen Werte man anführt, wie man Tabellen und Grafiken aufbereitet. Dies ist sowohl dann wichtig, wenn man selbst Daten vorgesetzt bekommt, um diese gut einschätzen zu können, als auch, wenn man sie selbst aufbereitet. – (Aufwändigere) Analysen können bei Bedarf wiederum ausgelagert werden.*

 

* Gerlinde Pölsler, Gendersensible Statistik, Fakten über Frauen und Männer ins Bild rücken – Veränderungen ins Rollen bringen, Ein Handbuch mit den Schwerpunkten Beschäftigung und Bildung, POP UP GeM/Peripherie 2007, Download siehe Spalte rechts